Mittwoch, 28. Mai 2008

Alle Zeit der Welt

Benjamin Märkli Dies ist die Forstetzung des Artikels "Bespitzelung der Bürger... durch die Freiheitspartei?". Dort wurde auf die mangelnde Wirksamkeit von solchen Massnahmen eingegangen. Die grösste Verletzung der Privatsphäre geht jedoch gar nicht von der Überwachung selbst aus; viel gravierender ist die Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen, die leider vom Bundesgericht in einem Fehlurteil als rechtmässig betrachtet wurde. Es nimmt nämlich mit jedem Tag, an dem die Videoaufnahmen länger aufbewahrt werden, die Gefahr des Missbrauchs erheblich zu (dies sagt auch das Bundesgericht). Die Begründung für die übermässig lange Frist ist, dass dem Opfer der Straftat eine gewisse Zeit für die Entscheidung, eine Anzeige zu erstatten, eingeräumt werden muss. Es steht natürlich ausser Frage, dass dies zutrifft. Allerdings kann der durchschnittliche Bürger im Zeitraum von 100 Tagen:

  • 140 Mal entscheiden, ob er mit dem Bus oder mit dem Auto zur Arbeit fahren möchte.
  • Einen neuen Job zu suchen, wenn er nach 10 Arbeitsjahren (Kündigungsfrist: 3 Monate, weniger bei kürzerer Anstellungsdauer) grundlos entlassen wurde und den Leistungsstaat nicht durch Arbeitslosengeldbezüge belasten möchte, und er hat immer noch 11 Tage übrig.
  • Entscheiden, ob die Schweiz beispielsweise folgendes tun soll*:
    • Atomwaffen kaufen
    • Die Armee abschaffen
    • Tierversuche verbieten
    • Gentechnologie einschränken
    • Geregelte Einbürgerungsverfahren abschaffen
    • Die 40-Stunden-Woche vorschreiben
    • Das Stimmrecht für 18-Jährige einführen
    • Die Schwerverkehrsabgabe erheben
    • Die direkte Bundessteuer einführen
    • Die AHV revidieren
    • Den Frauen das Stimmrecht zugestehen
  • Alle Verbuchungen, Einnahmen und Ausgaben des letzten Jahres für die Steuerrechnung rekonstruieren.
  • In der Schweizer Armee die Allgemeine Grundausbildung sowie die Funktionsbezogene Grundausbildung zu absolvieren (9 Tage übrig).
  • An der Universität St. Gallen für die gesamte Dauer eines Semesters (inklusive Break) Vorlesungen besuchen (2 Tage übrig).
Ich denke, dass die Entscheidung, ob man für seine Strafanzeige Videobeweise nutzen möchte oder nicht (wem nichts an - meistens sowieso unbrauchbaren - Überwachungsaufnahmen als Beweismittel liegt, der kann die Anzeige natürlich auch später noch machen), auch in 60 oder gar 30 Tagen fällen könnte. Die Unterstellung, das Volk sei nicht in der Lage, in angemessener Frist eine Entscheidung zu treffen, ist beleidigend und lächerlich.

*Diese Auflistung basiert auf tatsächlich durchgeführten Volksabstimmungen

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